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Laufen, bis nichts mehr geht – WM im Backyard
Aktuell lässt sich mein Gemütszustand treffend mit zwei Kernsätzen beschreiben.
Ich bin meinem Körper total dankbar. Dieser hat in den letzten Wochen Unfassbares geleistet.
Ich bin meiner Frau Ina total dankbar. Sie hat in den letzten Wochen Unfassbares für mich geleistet.
Ich habe mir mit dem Spartathlon einen Lebenstraum erfüllt und konnte im letzten Artikel darüber berichten.
Drei Wochen später durfte ich zum ersten Mal in meinem Leben als Teil der Nationalmannschaft nicht nur für mich persönlich, sondern auch für Deutschland Leistung zeigen.
Das war Ansporn, absolute Vorfreude und Last zugleich.
Die Backyards hatte ich als Training für den Spartathlon absolviert. Das ich dadurch in die Nationalmannschaft komme und zwei solche Extrtem-Wettkämpfe innerhalb von drei Wochen hatte …, da bin ich offen gestanden etwas hineingestolpert, ohne das wirklich geplant zu haben.
Ganz ehrlich:
Wenn Ina nicht meine Tasche gepackt hätte… ich weiß nicht, ob ich je in Nürnberg angekommen wäre.
Mittwoch Abend beim Abschlusstraining der letzte Höhenflug, und dann ….?
Ohne Vorwarnung spielte mein Körper zwei Tage vor der WM plötzlich verrückt.
Dennoch sagte meine innere Stimme: Fahr hin, das wird schon wieder.
Da ich ohnehin zwei Nächte freiwillig nicht schlafen wollte, fielen die zwei unfreiwillig fast nicht geschlafenen Nächte davor auch nicht ins Gewicht.
Tatsächlich: Mein Körper erholte sich am Morgen des Rennens und in den ersten Stunden nach dem Start spürbar.
Obwohl Laufen eine typische sportliche Einzeldisziplin ist: Der Mannschaftsgeist im Backyard ist beeindruckend wohltuend.
Alles geht noch: Samstag 13 Uhr vor dem Start, Foto: privat
Das Orga-Team des TSV Katzwang Nürnberg mit Florian, Hendrik und Juliane kümmerte sich leidenschaftlich herzlich um alle Läufer. Bisher bin ich bei jedem Backyard als Fremder gekommen und als Freund gegangen. Es scheint irgendwie doch am Format zu liegen, was eine bestimmte Spezies Mensch anzieht.
Die Marschrichtung der deutschen Mannschaft ist schnell erzählt: 24 Stunden soll bitte niemand ausscheiden und ein Platz bis maximal 10 soll am Ende rauskommen.
Team Deutschland bei der BU Team WM in Katzwang, Foto: privat
Teil 1 wird am Ende gelingen. Getreu dem Motto – Hundert (Meilen) gehen immer – kamen alle Läufer über den ersten Tag. Ausgerechnet Jannik Giesen, Deutschlands Nummer zwei, verließen als ersten die Kräfte. Ein Verlust, der weh tat.
Schon vorher hatte Hendrik Boury eine wunderbare Idee: Die Claudia-Runde.
Nachts sollte abwechselnd jeder Läufer eine Runde an Claudias Seite bleiben, damit sie im Dunkeln nicht alleine laufen muss. Meine schönste Runde, 35 min Speeddating im Wald von Nürnberg.
Die Powerfrau aus der Pfalz, 53 Jahre alt, 4 Kinder ist keine schnelle Läuferin.
Mit beeindruckender Ausdauer, nervenstark und schmerzresistent wird sie mit einem Wahnsinns-Zeitplan am Ende 36 Runden für Deutschland laufen. (Die Rundenzeiten siehe unten.)
Man stelle sich einen Moment vor: Die Deutsche Bahn wäre so pünktlich unterwegs wie Claudia Müller aus Zweibrücken. Dann kriegen plötzlich alle Reisenden ihre Anschlusszüge und Millionen Menschen hätten auf einmal nichts mehr zu meckern.
Meine Frau Ina versuchte derweil an anderer Stelle zu retten, was im Fall des deutschen 24-Stunden-Meisters Norman Mascher-Aspensjö leider nicht zu retten war. Die nachts durchaus gefährliche Strecke mittels Farbspray zu entschärfen. Leider ist das Farbspray nach der ersten Streckenhälfte alle. Erst in der zweiten Nacht mit frischen Farbspray-Vorräten war die Strecke dann vollständig gesichert.
Ähnlich wie Norman werde auch ich mich in der ersten Nacht in meiner kompletten Körperlänge mit dem Waldboden im Rednitzgrund vertraut machen. Weil ich eine Wurzel auf der falschen Seite umlaufe. Glücklicherweise nur mit leichten Schrammen.
Für „unser Führungsfahrzeug“ war durch die Verletzungen aus der ersten Nacht nach vielen schmerzhaften Runden bei 32 Schluss. Der zweite Verlust, welcher der deutschen Mannschaft sehr weh tat.
Das Fernsehen war zu dieser Zeit live vor Ort und hat diese traurige Szene eingefangen: Backyard Weltmeisterschaft: Laufen, bis nichts mehr geht | Frankenschau aktuell | BR Fernsehen | Fernsehen | BR.de
Meine persönliche Schmerzenszeit begann in Runde 27. Die Blasen an beiden Füßen, die ich als Andenken vom Spartathlon aus Griechenland mitgebracht habe, gingen wieder auf.
Als Ina nach 33 Runden nicht mehr kann, sprangen spontan Supporter von anderen Läufern ein. Genau so rührend werden sie mir helfen, wie Ina vorher andere Mannschaftskollegen mit versorgt hat.
Als ich nach 39 Runden aufgeben muss, freue ich mich unheimlich über die drei verbliebenen Athleten, die es noch weiter geschafft haben.
Nichts geht mehr: Montag früh um 5 bei der After-Show-Lagerfeuer-Party, Foto: privat
Dass Hendrik Boury gewinnen würde, daran hatte niemand einen Zweifel. Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich seine persönliche Bestleistung von 82 Runden oder 550 km wirklich gern einmal erreichen würde. Wo ich weiß, dass auch meine Bestleistung als halbe Tankfüllung lange weh tun kann.
Im Backyard gibt es keine Altersklassen und keine Geschlechter. Ob das fair ist, wird immer wieder diskutiert. Dass es mit Andrea Mehner eine Frau auf das Treppchen geschafft hat, finde ich traumhaft.
Ich bin, seit wir letztes Jahr beim Mauerweglauf ein Stück gemeinsam gelaufen sind, ein absoluter Fan von ihr.
Aus tiefsten Herzen freue ich mich allerdings über den frisch gebackenen deutschen WM-Assist: Marco Möhler. Das hat einen ganz persönlichen Grund. Als ich im letzten Jahr ahnungslos und unbedarft, ohne Supporter und jede vernünftige Ausrüstung in Zittau meinen ersten Backyard bestritten habe, hatte mich dort niemand auf dem Zettel.
Marco war der große Favorit, dem alle Glück und nach zwei zweiten Plätzen endlich den Sieg wünschten. Nach 15 erfolgreichen Runden musste Marco von der Strecke geholt werden. Krämpfe, Erbrechen, Erschöpfung. Nachdem sich Marco danach ausgeschlafen und erholt hatte, ist er nicht etwa enttäuscht heimgefahren …
… er kam zu mir:
Uli, ich wollte ja eigentlich hier bis Montag laufen. Hier hast Du meine Liege, meine Stirnlampe, meinen Tisch. Du sagst mir, was du essen möchtest. Ich bin jetzt für dich da.
Als ich 15 Stunden später nach 40 Runden aufgeben muss, packt Marco meine Sachen zusammen und fährt mich Montag Nacht um 3 Uhr nach Hause.
Ich habe immer wieder Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass ich diese Hingabe eines anderen Sportlers im meinem Leben erleben durfte.
Weil Bloggerin Sabine in ihren Sechs Gedanken zur Backyard Ultra World Team Championship 2024 trocken feststellt, dass der deutsche Assist dem Sieger nicht das Wasser reichen kann…
Das muss er auch nicht, denn Hendrik hatte mit seiner Familie den perfekten Support.
Es war Ina und mir eine Ehre, für Marco da zu sein und ihm das Wasser reichen zu dürfen, bis er nach 48 Runden aufgeben musste.
Zu dem Zeitpunkt war klar, dass es mit Teil 2 nichts werden wird. Dem erhofften Platz in den Top 10. Obwohl Deutschland die Rundenzahl von 484 auf 542 steigern kann. Andere Länder sind noch stärker geworden und haben vielleicht weniger selektive Strecken gewählt.
Die Strecke in Nürnberg ist landschaftlich wunderschön und abwechslungsreich. Aber die vielen gut verwurzelten Singletrails mit einigen knackigen Anstiegen lassen wenig Zeit für Gehreserven. Keine Chance, wenn ich wie in meinem Fall bei Runde 39 in den Backyard-Humpelgang schalten muss.
Wenn Deutschland 2026 einen erneuten Angriff auf die Top 10 der Welt starten möchte, wird es nicht nur die 15 besten deutschen Athleten brauchen. Es braucht auch die beste deutsche Strecke. Mein persönlicher Favorit ist dafür klar. Die Strecke des BBU in Hamburg-Berne ist nicht zu schlagen. Die Sporthalle Lienaustraße und die wurzelfreien fast flachen Parkwege des Berner Stadtparks versprechen persönliche Bestleistungen für alle …
Backyard nach Fahrplan: Claudias Rundenzeiten