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Der neue Dresdner Ritter von Rothenburg ob der Tauber
Ulrich Trodler erzählt von seinen Ultralauf-Erfahrungen in Rothenburg ob der Tauber von 7. Oktober 2017:
„Hubert Beck als Ultraläufer und Veranstalter hat mit dem Taubertal 100 eine Veranstaltung aus der Taufe gehoben, die anders sein möchte, als die meisten Läufe.
Das gemeinsame obligatorische Briefing aller Läufer am Vorabend mit anschließendem Programm, was motivierend wirkt. Das gemeinsame „Einlaufen“ in Form eines Fackellaufes durch die mittelalterliche Altstadt von Rothenburg zum Start an der Tauber.
Die Grußbotschaft des Ritters von Rothenburg am Start. Drei Turmbläser auf den Burgen unterwegs, die alle Läufer einzeln begrüßen.
Start in Rothenburg ob der Tauber (Foto: privat)
Der Ritterschlag im Ziel für alle 100er Finisher. Die qualitativ hochwertige Verpflegung an den Stationen. Weil Ultraläufer wissen, dass die meisten Abbrüche auf das Konto der Magenmuskulatur und nicht der des Bewegungsapparates gehen. Andere Läufer hatten mir diesen Lauf nahegelegt. Ich habe ihn zu meinem diesjährigen Wettkampfhöhepunkt gemacht und hart dafür trainiert. Zugegeben hatte ich zwischendurch mal den verwegenen Traum, dass ich vielleicht einen Pokal vom Taubertal mit heimbringe.
Da mit dem Weltmeister Jan-Albert Lantink (NL) und dem deutschen Meister Adam Zahoran (Bamberg) zwei Idole der Szene für Gold & Silber gesetzt schienen und weitere stärkere Läufer auf der Liste standen, war für mich in erster Linie eines realistisch: Gesund in Gemünden am Main vor Mitternacht ankommen.
Anfangs bin ich mit Oliver aus dem Rheinland gelaufen, der in neun Stunden über 100 km laufen wollte. Da das für mich zu schnell gewesen wäre, um die 100 Meilen zu überstehen, ließ ich ihn nach dem ersten der vier Marathon-Teilstücke ziehen.
Der Veranstalter erlaubt es allen Läufern, je nach Tagesform auf vier Distanzen 50, 71, 100 und 161 Kilometer zu verkürzen oder auch zu verlängern und dabei in die jeweilige Wertung zu kommen.
(Foto: privat)
Bei km 71 hat meine Familie bei der ersten Visite sofort gesehen, dass ich am Tiefpunkt war. Ina meinte sofort: Du musst das nicht zu Ende laufen und kannst in Wertheim bei 100 km gerne aufhören.
Der nächste Abschnitt zwischen 71 und 100 ist der bergige Teil der Strecke, weil dort das Taubertal sehr eng ist. Das war meine Rettung: An der Seite des Österreichers Matthias und des Schweizers Andreas konnte ich mich mental erholen.
In Wertheim wurden meine beiden Begleiter zum Ritter geschlagen und wünschten mir für meine letzten 61 km alles Gute.
In Wertheim ändert sich der Charakter dieses Laufes. Die letzten 61 km sind für die meisten Läufer einsam, weil die wenigsten über die volle Distanz gehen. Zusätzlich besteht Rucksackpflicht. Da die Verpflegungsstationen bis zu 13 km auseinander liegen. Licht und warme Sachen für die Nacht mitgeführt werden müssen.
Ich hatte Glück und zwei neue Begleiter. Meine beiden Söhne auf dem Rad. Auch wenn Radbegleiter nur an den Stationen helfen dürfen, das Licht der Fahrradlampe und mentale Unterstützung einzelner Gespräche sind ein wirksames Mittel gegen die Trance im Nieselregen des einsamen Main-Radweges.
Bis Kilometer 130 folgte meine mental beste Phase. Ich erfuhr bei km 110 zu meiner riesen Überraschung: Jan-Albert Lantink hatte aufgegeben, ich lag hinter Adam Zahoran auf Platz 2 und hatte den deutschen Vizemeister im 24 Stunden Lauf und Spartathlon-Finisher Hilmar Langpeter dicht hinter mir.
Bei km 130 war der Akku meiner Uhr alle und es folgte Hilmars Antritt, welcher mit einer Pace unter 5:30 gewesen sein muss. Ich hatte keine geeigneten „Ersatzbbeine“ zum Kontern dabei. Ich hatte dennoch die Gewissheit, dass sich mein Traum mit dem Pokal erfüllen kann, wenn ich gescheit ankomme.
Ich freute mich besonders auf die Station bei km 143 in Lohr. Dort sollte es eine richtige inhäusige Toilette geben, um mich für die letzten Kilometer von der gesammelten Kalorien-Reste-Mischung aus Kartoffelbrei, Kokosfett, Chia-Samen, Kraftbrühe, Melonen, Bio-Joghurt und typischer „Sportler-During“-Energienahrung zu befreien.
(Foto: privat)
Das Loslaufen nach einer Station ist auf dem letzten Renndrittel das Höllischste. Wenn alle Muskeln nach mehr als 100.000 Schritten auf Asphalt hinreichend „zertrümmert“ sind und man sehnsüchtig auf die Endorphin-Spritze wartet, mit der man irgendwie wieder ins Rollen kommt.
Die beiden letzten Stationen hatten die beste Betreuung. Fahrrad-Späher nahmen mich vorher in Empfang, um meine Essenswünsche im Voraus abzufragen. An der Station herrschte eine Riesen-Begeisterung inmitten einer regnerischen Nacht, mit der ich begrüßt wurde. Mein Essen stand fertig bereit.
Die letzten 4 km war das Kräfteverhältnis besonders gut: 2 Fahrrad-Begleiter des Veranstalters und meine komplette Familie eskortierten mich ins Ziel. Das Foto vom Zieldurchlauf sagt mehr als tausend Worte: Wenn Träume wahr werden und der Kopf gewonnen hat.
Danach kommt die Zeit, wo ohne fremde Hilfe kaum etwas „geht“, im wahrsten Sinne des Wortes. Es gibt viele Möglichkeiten in seinen Geburtstag reinzufeiern. Ina hat ihren diesjährigen damit begonnen, dem Ehemann die Drop-Bags aus der Turnhalle zu holen und die geschwollenen Füße zu bandagieren.
(Foto: privat)
Bei der Siegerehrung anlässlich eines Ritteressens in Gemünden konnte ich Jan-Albert Lantink mit einem Augenzwinkern persönlich danken, dass mir sein Aufgeben einen besonders schönen und hart erlaufenen Pokal ermöglicht hat. Mit eingraviertem Namen und Zielzeit.
Auf die mir während des Rennens am meisten gestellte Frage, warum man sich das eigentlich antut, 100 Meilen zu laufen, das zweite Augenzwinkern: Ich wüsste keine andere Möglichkeit, um heute noch irgendwo zum Ritter geschlagen zu werden, ohne Reiten zu können.“